27. Jugendgerichtstag 2007

Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V.
Schweizer Vereinigung für Jugendstrafrechtspflege
Fachgruppe Jugendrichter im Österreichischen Richterverein

Fördern | Fordern | Fallenlassen

L E I T T H E S E N
zum 27. Deutschen Jugendgerichtstag

Freiburg | 15. bis 18. September 2007

Fördern
Jugenddelinquenz geht in vielfältiger Weise mit Faktoren sozialer Benachteiligung und Desintegration einher. Diese altbekannte Tatsache hat auch im Lichte gegenwärtiger Sicherheitsdebatten nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt.

Auch in der Reaktion auf strafrechtliche Grenzverletzungen muss eine effektive Jugendpolitik daher vorrangig auf den Ausgleich bestehender Nachteile und die soziale Integration ausgerichtet sein. Das gilt ebenso für ein auf Kompensation angelegtes Jugendkriminalrecht.

Ein derart ausgerichtetes, an seinen realen Wirkungen orientiertes Jugendkriminalrecht kommt – als Erziehungsstrafrecht – nicht nur den Tätern zugute: Vielmehr nützt es auch Opfern und der Gesellschaft insgesamt, durch Konfliktausgleich und Schadenswiedergutmachung, indirekt durch die Vermeidung (wenigstens: Verminderung) sozialer Folgekosten.

„Fördern“ ist daher das adäquate und zeitgemäße Paradigma für ein rationales Jugendstrafrecht.

Das Prinzip des Förderns muss – wie im Jugendhilfebereich – auch im Jugendstrafrecht an erster Stelle stehen, und zwar selbst bzw. gerade dann, wenn zur Wahrung des Rechtsfriedens freiheitsentziehende Sanktionen verhängt und vollstreckt werden müssen.

In unserer komplexen Gesellschaft erreichen nur wenige jungen Menschen bereits mit 18 Jahren Status und Selbständigkeit eines ausgereiften Erwachsenen. Daher besteht keine Veranlassung, das Prinzip des Förderns allein auf Jugendliche zu beschränken und jungen Erwachsenen vorzuenthalten.

Fordern
Junge Menschen wollen gefordert werden und brauchen Herausforderung – das ist ein natürlicher Impuls. Dieser Umstand kann und soll auch in der Jugendstrafrechtspflege bei der Reaktion auf Verfehlungen sowie bei der ggf. erforderlichen Resozialisierung zur Geltung gebracht werden.

Es ist gegenüber jungen Tätern legitim und sinnvoll, darauf zu dringen, dass sie sich mit ihrer Person und ihren Fähigkeiten im Rahmen ihrer tatsächlichen Möglichkeiten mitwirken. Ihnen ist dabei zu helfen, lebensgeschichtlich verschüttete Fähigkeiten und positive Eigenschaften bei sich selbst zu entdecken und wertschätzen zu lernen.

Verantwortungsübernahme stellt ein wichtiges Ziel jugendstrafrechtlicher Interventionen dar. Sie ist das Eingeständnis gegenüber sich selbst, gegenüber den Geschädigten wie gegenüber der Gesellschaft, Schädigungen und Leid (mit-) bewirkt zu haben. Daraus folgt die Selbstverpflichtung, aktiv an der Konfliktschlichtung und Folgenminimierung mitzuwirken.

Die Forderung an junge Menschen, Verantwortung zu übernehmen, darf jedoch nicht als Vorwand für andere Absichten missbraucht werden, insb. für die Verweigerung sozialstaatlicher Leistungen.

Fallenlassen
Eine primär auf Ausgrenzung ausgerichtete Kriminalpolitik ist nicht zu rechtfertigen: Sie widerspräche dem verfassungsrechtlich fundierten Resozialisierungsauftrag und wäre in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen verheerend.

Ein Fallenlassen ist auch dann keine Alternative, wenn junge Menschen schwere bis schwerste Straftaten begangen haben oder sich als schwierige oder hartnäckig auffällige Täter erweisen.

Kein junger Mensch, der einer Straftat überführt ist, darf in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat fallen gelassen werden! Er muss vielmehr die Herausforderung aushalten, dass manche junge Menschen länger brauchen, bis ihnen eine soziale Integration gelingt.

Auch bei solchen mehrfachauffälligen Straftätern – oftmals Intensivtäter genannt – bleibt stets ein Abbrechen der Delinquenzphase und ein Ausstieg aus der sog. kriminellen Karriere möglich. Denn sie sind nicht unveränderlich auf eine langwierige Fortsetzung des kriminellen Verhaltens festgelegt. Verbindliche Prognosen sind schwierig, gerade bei jungen Menschen, weil vieles in ihrer Person und in ihrem Leben noch im Fluss ist.

Strafrechtliche Instrumente eignen sich nicht dazu, nachträglich grundlegende Versäumnisse anderer Sozialisations- und Integrationsinstanzen auszugleichen. Daraus folgt, dass sich die Jugendkriminalrechtspflege aktiv, deutlich und öffentlichkeitswirksam gegen Versuche verwahren muss, sie für Fehlentwicklungen in anderen Politikfeldern in die Haftung zu nehmen.

Die Jugendgerichtsbarkeit muss mit ihrem repressiven Instrumentarium behutsam umgehen. Förmliche und vor allem freiheitsentziehende Sanktionen können sich als unerlässlich aufdrängen, ihre spezialpräventive Wirkung für junge Straftäter wird – vor allem in der Rechtspolitik –jedoch chronisch überschätzt. Zu bedenken ist die stets relevante Gefahr, dass durch sie auch Prozesse der Desintegration gefördert werden können.

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Mit dem Tagungsmotto Fördern, Fordern, Fallen Lassen wird eine aus der Sozialen Arbeit stammende, gegenwärtig auch in anderen Lebensbereichen sehr populäre Formel aufgegriffen.

Das Motto drückt die Befürchtung aus, dass gegenwärtig im Bereich der Jugendhilfe und der Jugendstrafrechtspflege etablierte sozialstaatliche Standards mit dem Hinweis auf individuelle Verantwortlichkeiten zurückgefahren werden. Damit verbindet sich die Frage nach den Chancen, die wir als Gesellschaft bereit sind der Jugend zu gewähren. Verschärft stellt sich diese Frage bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die strafrechtlich auffällig geworden sind.