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Positionspapier der DVJJ – Geflüchtete Kinder, Jugendliche und Heranwachsende im Jugendkriminalrecht

12. Mai 2016

Der Vorstand der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. (DVJJ) hat ein Positionspapier zu geflüchteten Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden im Jugendkriminalrecht beschlossen.

In der Debatte um Geflüchtete in Deutschland spielt die Frage nach Straftaten auch von jungen Geflüchteten immer wieder eine Rolle. In den Anwendungsbereich des Jugendstrafrechts fallen dabei Jugendliche, also 14- bis 17-Jährige sowie Heranwachsende, also 18- bis 20-Jährige. Unter 14-Jährige sind zwar nicht strafmündig, gleichwohl werden u.U. Strafverfahren gegen sie eingeleitet, die dann eingestellt werden. Die Jugendhilfe ist für alle genannten Altersgruppen zuständig. Bei unbegleiteten Minderjährigen ist sie im Rahmen ihrer Inobhutnahme sehr intensiv involviert.

Genaue Zahlen zur Kriminalitätsbelastung von Geflüchteten dieser Altersgruppe liegen bisher nicht vor. Bei der Bewertung von gelegentlich kursierenden Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik ist zu beachten, dass es hier um Verdachtsfälle von sehr unterschiedlichem Schweregrad geht. Das Spektrum reicht vom Tatbestand illegaler Einreise über Ladendiebstähle und Schwarzfahren bis hin zu schweren Gewalttaten. Die Einreise einer Familie mit drei Kleinkindern kann drei Fälle von Kriminalität minderjähriger Geflüchteter in der Statistik erzeugen. Ein nicht unwesentlicher Teil der Gewalttaten findet in den Unterbringungseinrichtungen unter den dort Untergebrachten statt.

Geflüchtete Kinder, Jugendliche und Heranwachsende sind eine überaus heterogene Gruppe. Viele reisen mit ihrer Familie oder Angehörigen ein, nicht wenige allerdings auch unbegleitet. Kulturelle und Bildungshintergründe sowie die sozioökonomische Situation in den Herkunftsländern unterscheiden sich beträchtlich. Gewichtige Unterschiede gibt es auch bezogen auf die Dauer und die Bedingungen der Flucht.

In der Praxis des Jugendkriminalrechts, in den unterschiedlichen betroffenen Berufsgruppen Polizei, Soziale Arbeit und Justiz, zeigt sich diese Heterogenität sehr deutlich. Das zahlenmäßige Aufkommen zeigt erhebliche regionale Unterschiede: Grenzregionen im Süden und Osten sowie Großstädte haben besonders hohe Geflüchtetenzahlen und entsprechend auch mehr Strafverfahren bezogen auf diese Personengruppe. Übereinstimmend wird aus der Praxis berichtet, dass der weitaus größte Teil aller Strafverfahren bezogen auf junge Geflüchtete sich auf die Einreise oder Bagatellkriminalität bezieht. Schwere Straftaten sind eher selten.

Fallen junge Geflüchtete mit Straftaten auf, stellen sich für die Praxis erhebliche Probleme. Bereits die Feststellung der Identität kann erheblichen Aufwand verursachen. Vielfach fehlt es an der Möglichkeit der sprachlichen Verständigung in Ermangelung ausreichender qualifizierter Dolmetscher, die auch kulturelle Übersetzungsarbeit leisten können. Die schwierige Verständigung und die instabile Wohnsituation von Geflüchteten führen wohl dazu, dass offenbar in sehr viel höherem Maße als bei anderen Personengruppen Untersuchungshaft verhängt wird.

Gelingt die Aufklärung der Straftat, stellt sich die Herausforderung einer angemessenen jugendstrafrechtlichen Reaktion. Das übliche Spektrum ambulanter Angebote für junge Straffällige eignet sich häufig nicht. Die sprachlichen Barrieren sind gravierend, oftmals bestehen keinerlei Sprachkenntnisse in einer geläufigen Sprache, so dass nicht einmal eine rudimentäre sprachliche Kommunikation möglich ist. Pädagogische, sozialarbeiterische und therapeutische Konzepte basieren aber letztlich alle auf Beziehungsaufnahme durch Gespräch. Die biografischen Belastungen der jungen Geflüchteten sind häufig sehr hoch, so dass es individualisierter Reaktionen bedürfte. Viele Angebote beruhen zudem darauf, junge Straffällige in vorhandene prosoziale Bezüge wieder einzubinden. Aufgrund der Fluchtsituation stehen solche Netzwerke für Geflüchtete in der Regel nicht zur Verfügung. Bei unbegleiteten Minderjährigen stellen sich zusätzliche formale Probleme. Für zahlreiche Angebotsformen, etwa im Rahmen der Diversion, bedarf es der Zustimmung des Vormundes. Wenn ein Vormund nicht bestellt oder nicht erreichbar ist, können daher entsprechende Angebote nicht durchgeführt werden. Auch die erforderliche Zustellung von Dokumenten im Rahmen des Verfahrens bereitet häufig Schwierigkeiten.

Im Falle schwerer Straftaten stellt sich nicht selten die Frage nach der Schuldfähigkeit, so dass die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens erforderlich wird. Ein gewichtiges Problem nicht nur in diesem Zusammenhang ist die Altersfeststellung. Diese ist nötig, um Art und Auswahl der Testverfahren zu bestimmen. Die Anwendung der üblichen Testverfahren wird zudem dadurch erschwert, dass die eingesetzten Tests nicht für andere Kulturkreise evaluiert sind. Auch die Notwendigkeit, Dolmetscher einzusetzen, ist bei den in der Regel sprachbasierten Tests problematisch, da nicht alle Begriffe übersetzbar sind und zudem nicht alles auch immer korrekt i.S.d. Tests übersetzt werden kann.

Die genannten Bedingungen führen dazu, dass Jugendstrafverfahren gegen junge Geflüchtete sowohl im Hinblick auf die Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens als auch im Hinblick auf die Entwicklung angemessener Reaktionsformen besonders schwierig zu führen sind. Auch wenn die Fallzahlen an vielen Orten nicht besonders hoch sind, ist es von großer Wichtigkeit, hier Ressourcen und Kompetenzen zu entwickeln, um die Rechte der jungen Menschen zu wahren und sie auf dem Weg aus der Straffälligkeit zu unterstützen.

Festzuhalten ist daher:

  1. Die Grundsätze des Jugendstrafrechts, der Erziehungsgedanke, die besondere Täterorientierung und die Ausrichtung auf Spezialprävention gelten für alle jungen Straffälligen, unabhängig von ihrer Herkunft.
  2. Bei der Debatte um die Kriminalität junger Geflüchteter bedarf es sorgfältiger Differenzierung. Die Straftaten, ihre Ursachen und die biographische Situation der jungen Menschen sind extrem unterschiedlich. In allen mit Jugendstrafrecht befassten Berufsgruppen bedarf es dringend der Fortbildung, um die jungen Geflüchteten, die mit dem Strafrechtssystem in Berührung kommen, zu verstehen und auf dieser Grundlage adäquat reagieren zu können.
  3. Für junge Geflüchtete, die in einem Maße straffällig werden, das eine Intervention erfordert, fehlen vielerorts adäquate Angebote. Insbesondere die Jugendhilfe ist hier gefordert, entsprechende Konzepte zu entwickeln. Auch der Justizvollzug muss sich auf die Besonderheiten der Zielgruppe einstellen.

Bund, Länder und Kommunen sind aufgefordert, bei ihren Bemühungen um junge Geflüchtete die Gruppe derjenigen unter ihnen, die mit dem Strafrecht in Kontakt kommen, im Blick zu behalten und gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, ihnen gerecht zu werden. Die Berufsgruppen in Polizei, Jugendhilfe und Justiz, die dies konkret umsetzen müssen bedürfen hierbei der Unterstützung.

Für den Vorstand: Prof. Dr. Theresia Höynck, Vorsitzende der DVJJ

Das Positionspapier finden Sie hier als Datei.