Referent: Andreas Guido Spahn, Richter, Amtsgericht Rudolstadt
Moderation: Anja Schneider, Bundesvorstand der DVJJ
Abstract: Durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017, das am 01.01.2017 in Kraft getreten ist, sollte unter dem plakativen Leitmotiv „Kriminalität darf sich nicht lohnen“ die strafrechtliche Vermögensabschöpfung als Instrument der Kriminalitätsbekämpfung gestärkt werden. Danach haben die Gerichte grundsätzlich die Abschöpfung der Erträge aus Vermögens-, Eigentums- oder Betäubungsmitteldelikten anzuordnen. Einzuziehen ist alles, was der*die Täter*in oder Teilnehmer*in „durch“ oder „für“ die rechtswidrige Tat erlangt hat. Kann der ursprüngliche Tatertrag (= Tatbeute oder Tatlohn) nicht gegenständlich eingezogen werden, weil er bei dem*der Täter*in oder Teilnehmer*in nicht mehr vorhanden ist, ordnet das Gericht die Einziehung des Wertes des Tatertrages an. Die strafrechtliche Vermögensabschöpfung ist zwingendes Recht. Liegen ihre tatbestandlichen Voraussetzungen vor, muss das Gericht regelmäßig die Einziehung des Tatertrages oder dessen Wertes anordnen. (Wertersatz-)Einziehungsanordnungen werden durch zwangsweise Beitreibung vollstreckt.
Die Vereinbarkeit dieser Reform mit den Zielen des Jugendstrafrechts wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht erörtert. In Rechtsprechung und Schrifttum war es daher lebhaft umstritten, ob die Einziehung des Wertes des Tatertrages auch im Jugendstrafrecht in den Fällen, welche in der Rechtspraxis, die bundesweit vollkommen uneinheitlich und teilweise willkürlich verfährt, von überragender Bedeutung sind, Anwendung findet, in denen der*die Jugendliche oder Heranwachsende den Gegenwert (= Gewinn oder Entgelt) nicht mehr in seinem Vermögen hat. Dagegen spreche die Vorgabe in § 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG und grundsätzlich die Unvereinbarkeit mit der Systematik des Jugendstrafrechts, weil finanzielle Auswirkungen im Sinne einer Geldstrafe mit Vergeltungscharakter dem gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 JGG vorrangigen Erziehungsgedanken zuwiderlaufen. Auch der Ruf nach dem Gesetzgeber ist in der Literatur, die die Neuregelung der Vermögensabschöpfung schon als „feindliche Übernahme des Jugendstrafrechts durch das allgemeine Strafrecht“ gegeißelt hat, bereits wiederholt erschallt.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes, der angesichts des Wegfalls der Härteklausel des § 73c StGB aF und der Verlagerung der Berücksichtigung der finanziellen Situation des Täters bzw. der Täterin in das Vollstreckungsverfahren eine Neubewertung der Anordnung der Einziehung im jugendgerichtlichen Verfahren vornehmen und die Einziehungsentscheidung im Jugendstrafrecht dem Ermessen des Tatrichters bzw. der Tatrichterin überantworten wollte (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG), hatte die Problematik unterdessen, weil sich die anderen Senate ablehnend geäußert haben, dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vorgelegt.
Unterdessen wurde der schon länger erwartete Beschluss des Großen Senats des Bundesgerichtshofs zur Frage der Spielräume der Gerichte bei der Vermögensabschöpfung in Jugendsachen veröffentlicht (BGH, Beschluss vom 20.01.2021 – GSSt 2/20). Dieser Entscheidung lag die Frage des 1. Senats zugrunde: „Steht die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafverfahren im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG)?“
Diese Frage wurde vom Großen Senat verneint und insoweit für Recht erkannt: „Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB) steht auch bei Anwendung von Jugendstrafrecht nicht im Ermessen des Tatgerichts.“
In diesem Forenvortrag wird zunächst die Entscheidung besprochen, um darauf aufbauend mit den Teilnehmer*innen – insbesondere über Auswege aus dem entstandenen Dilemma – zu diskutieren.
Außerdem wird ein Blick auf den Hinweis des Großen Senats geworfen: „Ob der vom Gesetzgeber beschrittene Weg die zweckmäßigste aller denkbaren Lösungen darstellt, hat der Große Senat nicht zu entscheiden.“